Leseprobe

Veröffentlicht am 13. September 2022 um 09:48

„Ist es wirklich so offensichtlich, oder bist du nur durch die Idioten darauf gekommen und hast gedacht, du versuchst es mal?“, fragte Ashton, den Blick auf die Straße gerichtet. Er wirkte jetzt, da sie die Schule hinter sich gelassen hatten, ruhiger, dafür beschäftigten ihn wohl wieder persönliche Zweifel.

„Ich wusste es schon vorher, hatte aber keine Gelegenheit, dich anzusprechen. Somit, ja, du musst dich besser tarnen“, bemerkte Gale mit einem Lächeln, das Ashton erwiderte. „Werde ein Chamäleon, geheimnisvoll und immer der Umgebung angepasst.“

„Ein Chamäleon.“ Ashton lachte. „Du hast es also schon mit anderen Chamäleons gemacht?“

„Mit insgesamt vier.“ Sie ließen Georgetown hinter sich, und Gale bog auf die 17 ab. „Dann gibt es da noch meinen Freund Nelson. Aber der zählt nicht, weil wir zusammen aufgewachsen sind, sodass wir im Grunde schon als Kinder aneinander rumgefummelt haben.“

„Denkst du, dass es dadurch leichter war?“, fragte Ashton interessiert.

„Wir wussten es beide immer schon und konnten uns gegenseitig unterstützen“, stimmte Gale zu. „Wir haben ein Versteck gefunden, Methoden entwickelt, Sachen gebaut … Man findet dann auch raus, wer es ebenfalls ist und wer nicht. Oder wer eine Andeutung versteht und nicht schreiend weglaufen wird. Somit ja, es ist bestimmt leichter, wenn man zu zweit ist und gemeinsam da reinwächst. Du fühlst dich sicher sehr allein.“ Er sah Ashton mitfühlend von der Seite an.

Doch, er musste dankbar dafür sein, Nelson zu haben. Es hatte ihnen die Sicherheit gegeben, dass sie nur anders, aber nicht komisch waren. Wäre Gale auf sich gestellt gewesen, wäre ihm sicher vieles schwerer gefallen. Aber er ging nicht davon aus, dass ihm deshalb der Gedanke gekommen wäre, er könnte fehlgeleitet, krank, pervers oder sündig sein.

Sein ausgeprägter Atheismus, der sich noch vor der Erkenntnis, homosexuell zu sein, entwickelt hatte, hielt ihn davon ab, den Fehler bei sich zu suchen.

„Es ist …“ Hilflos zuckte Ashton die Schultern. „Ich weiß nie so genau, was ich damit anfangen soll. Wer es verstehen würde, obwohl es verboten ist und all das. Es wirkt so falsch. Und vielleicht ist es das auch.“

„Warum sollte es falsch sein?“

„Wie du schon sagst – es sind nicht viele. Zumindest scheint es so. Und alle anderen sehen es als Sünde an.“

Nur weil alle Schafe dem Leitschaf hinterherrennen, bedeutet es noch lange nicht, dass das Leitschaf den Weg zum Stall kennt.

„Empfindest du es denn als eine Sünde?“

„Nein“, antwortete Ashton nach langem Nachdenken. „Ich fühle mich mit dem wohl, was ich mir vorstelle. Mit mir selbst. Aber außerhalb davon bin ich wie ein Alien, der aus Versehen vom Kurs abgekommen und auf einem fremden Planeten gelandet ist. Ich verstehe die Sprache und die Kultur nicht, und es ist, als wäre ich von Feinden umzingelt.“

Das hatte er treffend ausgedrückt. So kam Gale sich auch die meiste Zeit vor.

 

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