Leseprobe Belleflower

Veröffentlicht am 13. Februar 2023 um 10:21

Jesse erwartete eine herzliche Begrüßungsszene und bereitete sich darauf vor, ein wenig eifersüchtig zu sein.

Doch Nelson unterband Gales Geste, ihn umarmen zu wollen, indem er ihm die Hand zum Gruß hinstreckte. „Hallo. Schön, dass ihr hier seid. Hattet ihr eine gute Anreise?“

Jesse kannte Gale gut genug, um die Überraschung ob dieser kühlen Begrüßung aus seiner Mimik und Gestik zu lesen, und sah auch, wie sein Partner sie rasch überspielte.

„Ja, es hat alles gut funktioniert“, erwiderte Gale und schüttelte Nelsons ausgestreckte Hand. Dann holte er Jesse mit einem Wink heran und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Das ist Jesse. Jesse, das ist Nelson.“

„Hi!“ Nelson strahlte Jesse an und schüttelte ihm so überschwänglich die Hand, dass Jesse sich noch mehr über sein Verhalten Gale gegenüber wunderte.

Gab es Stress zwischen den beiden, von dem ich nichts weiß oder nichts mitbekommen habe?

Gales Stirnrunzeln sagte ihm aber, dass sein Partner auch nicht wusste, was Nelson stören könnte.

Dabei wirkte Nelson so sympathisch. Er war schlank, athletisch, locker mit Jeans und Sweatshirt bekleidet. Das dunkle Kraushaar trug er kurz, sein Gesicht hatte etwas von einer sorgfältig gearbeiteten Statue, seine glatte, reine Haut hatte einen Schokoladenton. Ein hübscher Mann mit einem schönen Lächeln.

Als Nelson sich der Tür zuwandte, warf Jesse Gale einen fragenden Blick zu, doch sein Partner zuckte die Schultern.

Ein junger, feminin wirkender Mann mit heller Haut betrat, einen Picknickkorb in der Hand, das Haus, und Jesse lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihn.

„Das ist Belleflower“, stellte Nelson nun seinerseits vor, „mein Partner. Oder mein Mrau. Das sind Gale und Jesse.“

Belleflower lachte und begrüßte die beiden.

„Mrau?“ Jesse fand, dass es ähnlich wie Christobals Lautäußerungen klang. Sollte das ein Kosewort sein?

„Ich bin inter“, erklärte Belleflower, „und eigentlich heiße ich Andy.“

Irritiert sah Jesse zu Gale, der aber erneut die Schultern zuckte. Anscheinend hatte Nelson ihm nichts über seinen Partner erzählt.

Wieso denn nicht? Das ist alles so merkwürdig!

„Belleflower ist viel schöner“, meinte Nelson mit einem verliebten Blick auf seinen Partner. „Andy kommt mir nicht in die Tüte."

[...]

„Was genau ist denn inter?“, wagte Jesse das zu fragen, was ihm seit der Begrüßung auf der Zunge brannte, und goss Kaffee in die mitgebrachten Becher.

„Intersexuell. Das ist der medizinische Begriff, der in den 1920er Jahren Hermaphrodit oder Zwitter ersetzte, was ihr wahrscheinlich eher kennt“, erläuterte Belleflower.

„Ser ist also männlich und weiblich, ein Mrau“, fügte Nelson hinzu und reichte ein Sandwich an Jesse weiter, „ein Mittelding aus Mann und Frau. Daher auch ‚ser‘, denn weder ‚er‘ noch ‚sie‘ wären richtig.“

 

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